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Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

presseartikel1. 1945 → Eine neue Rechtſchreibung?
ortografie.ch ersetzt sprache.org ortografie.ch ersetzt in zukunft sprache.org
Sprachspiegel, , nr. 1, s. 24 bis 29 (original in fraktur)

Eine neue Rechtſchreibung?

Aus Deutſchland kommt die Kunde*, der Reichsminiſter für Wiſſenſchaft, Erziehung und Volksbildung habe „von ſich aus“ in die Rechtſchreibung eingegriffen und Regeln erlaſſen, die in einem 96 Seiten ſtarken Büchlein in den nächſten Wochen den deutſchen Schulkindern eingehändigt würden. Über dieſe Regeln, ſoweit ſie aus dem uns vorliegenden Bericht erkennbar ſind, könnte man reden; ſie bringen außer dem ungewohnten Schriftbild vieler Fremdwörter keine großen Umwälzungen, z.B. nicht etwa die Kleinſchreibung der Dingwörter, und wenn ſie in Deutſchland heutzutage, wo die Zeitſchrift „Mutterſprache“ des Deutſchen Sprachvereins nicht mehr erſcheinen und ſogar der Duden nicht mehr gedruckt werden kann, weil es an Druckern und Papier fehlt, wenn ſie gerade jetzt den Schulkindern ein neues Regelbuch in die Hand drücken zu können glauben, iſt das ihre Sache. Was aber das ganze Unternehmen als gründlich verfehlt erweiſt, iſt die Beſtimmung, daß „der gegenwärtige Schreibgebrauch vorläufig auch weiterhin in Geltung bleiben kann“. Das iſt ſo ziemlich das Allerungeſchickteſte, was man in dieſer Sache beſtimmen konnte, denn durch dieſe „Beſtimmung“ wird alles unbeſtimmt; jeder ſchreibt, wie er will, und was herauskommt, iſt ein großes Durcheinander. Bevor es einen Duden gab, alſo vor 1881, hatte wenigſtens jeder deutſche Bundesſtaat (und jeder ſchweizeriſche Kanton) und innerhalb dieſer Gerbilde jeder Stand (der Beamte, der Lehrer, der Kaufmann) ſeine Regeln; es gab alſo rechtſchreiberiſch einigermaßen gleichartige Landſchaften und Stände – was jetzt herauskommt, iſt ein allgemeines Reichsdurcheinander. Trotz der ſonſt auf allen Gebieten herrſchenden Gleichſchaltung hat man es noch nicht für nötig oder möglich gehalten, die zwiſchen dem Preußiſchen, dem Bayriſchen und dem Öſterreichiſchen amtlichen Regelbuch herrſchenden Unterſchiede auszugleichen, und auch im neueſten Duden wimmelt es in den Anmerkungen noch von PR., BR. und ÖR. Man begreift das, denn jetzt haben ſie draußen gewiß Dringlicheres zu tun. Aber nun ſcheint es auf einmal zu eilen; es werden neue Regeln aufgeſtellt und gleichzeitig – läßt man alles beim alten.

Am meiſten werden unter dem neuen Zuſtand zu leiden haben die Lehrer und die Schriftſetzer. Für den Leſer macht es nicht viel aus; wenn er ältere Bücher lieſt, muß er auch in Kauf nehmen, daß noch von „Thaten“ und „Thränen“, von „Styl“ und „Sylben“ die Rede iſt. Aber wenn wir in einer Zeitung oder Zeitſchrift, an der verſchiedene Federn mitgewirkt haben, das einemal „Rhythmus“ und das anderemal „Rytmus“ oder, wie Weſſely empfiehlt, „Ritmus“ leſen, kann uns das doch ſtören; jedenfalls lenkt es vom Inhalt ab. Auch der Lehrer kann auf die Frage: „Schreibt man Phosphor oder Fosfor?“ ſchließlich antworten: „Schreib, wie du willſt; es iſt beides richtig“, und darf zufrieden ſein, wenn der Schüler nicht gerade Phosfor oder Fosphor, Photograf oder Fotograph ſchreibt. Am ſchlimmſten iſt der Schriftſetzer dran. Privatbriefe kann man am Ende immer noch ſchreiben, wie man will, aber was für die Öffentlichkeit und eine gewiſſe Dauer beſtimmt iſt, ſollte doch eine gewiſſe Regelmäßigkeit aufweiſen. Iſt es das Buch eines Verfaſſers, ſo kann ſich der Drucker deſſen perſönlichen Willkürlichkeiten am Ende noch anpaſſen; doch dem, der Dierauers Schweizergeſchichte ſetzen mußte, wird es nicht immer leicht gefallen ſein, „Argau“ und „Turgau“ zu ſetzen. Aber erſt in einer Zeitung oder Zeitſchrift! Da heißt es das einemal Ragout, das anderemal Ragu, einmal gibt es Rhabarber, ein andermal Rabarber, bald Tour, bald Tur, bald Massstab, bald Masstab. Bald wird getrennt Rü-ſtung, ein andermal Rüſ-tung. Soll er da ſeinem eigenen Geſchmack folgen oder der Vorſchrift ſeines Auftraggebers? Wenn er ſich keine Unannehmlichkeiten zuziehen will, handelt er nach dem Grundſatz:„ Wer zahlt, der befiehlt.“ Es erſchwert ihm aber die Arbeit, ſchon rein praktiſch; denn es bedeutet für ihn einen Zeitverluſt, wenn er nicht mehr ganze Wörter ſetzen, ſondern, wenigſtens bei Fremdwörtern, bei jedem Buchſtaben nachſehen muß, wie er ihm vorgeſchrieben iſt, ob der Auftraggeber Diphtherie oder Difterie oder Diphterie oder Diphterie geſchrieben habe. Es wird ihn aber auch innerlich unbefriedigt laſſen; er wird ſich geradezu ſchämen, daß aus ſeiner Hand ein ſolches Chrüſimüſi hervorgehen ſoll.

Der Berichterſtatter Weſſely wird ſchon recht haben mit der Klage, daß die Rechtſchreibung bisher faſt nur von Schulmännern und Wiſſenſchaftern geregelt wurde und daß man die Buchdrucker, die doch am meiſten damit zu tun haben, den ganzen Tag lang, zu wenig beigezogen habe. Was aber dieſer Reichsminiſter für Wiſſenſchaft, Erziehung und Volksbildung mit der Duldung her bisherigen Schreibweiſe neben ſeinen neuen „Regeln“ geleiſtet hat, überſteigt an Weltfremdheit und Mangel an Sachverſtändnis doch alles. Es iſt noch faſt ein Troſt, daß es bei den heutigen Zuſtänden im deutſchen Schulweſen gar nicht mehr ſtark darauf ankommt, ob man Rü-ſtung ſchreibe oder Rüſ-tung, wenn nur die Schüler wacker rüſten und die Lehrer gerüſtet ſind, ob der Fusssoldat oder der Fussoldat marſchiere, wenn er nur marſchiert.

Aber iſt das nicht herrlich, dieſe Freiheit? Sollten nicht gerade wir Schweizer davon begeiſtert ſein? – Nein. Denn wenn die Freiheit in Willkür übergeht, ſo wird ſie zur Qual. Gewiß kann man die Bedeutung der Schreibweiſe überſchätzen, und ob einer ſchreibe: „alles mögliche“ oder „alles Mögliche“, iſt in der Tat unwichtig. Aber ein gewiſſes Maß von Ordnung iſt doch eine Wohltat.

Über die Regeln ſelbſt ließe ſich wie geſagt reden, wenn damit wirklich etwas geregelt wäre und wenn man vorläufig nichts Wichtigeres zu tun hätte, ſogar in der friedlichen Schweiz. Gewiß wird mancher Leſer erſchrocken ſein ob den angeführten Beiſpielen, und wenn er ſich auch an die Fotografie und das Telefon ſchon einigermaßen gewöhnt hat – Filoſofie zu ſchreiben oder gar Filoſofi, wie Weſſely empfiehlt, Teorie uſw., das ginge ihm doch zu weit. An die Sinfonie hat man ſich zwar auch ſchon ordentlich gewöhnt, und „Strofe“ ginge allenfalls auch noch, aber „Sfäre“ und „Difterie“ ſähen doch gar zu „unwiſſenſchaftlich“ aus. „Likör“ hat Duden übrigens ſchon in der 7. Auflage von 1902 (und Buſch wohl ſchon früher!) geſchrieben, „Schofför“ wenigſtens in der 12. (1941), und es iſt nicht recht einzuſehen, weshalb er bei „Friſör“ immer noch auf „Friſeur“ als die beſſere Schreibweiſe verweiſt. Die Wiedergabe der Endung „-eur“ durch „-ör“ iſt uns noch ungewohnt, und gar „Miliö“ für „Milieu“ mag noch manchem lächerlich erſcheinen, aber daß man die Endung „-eux“ durch „-ös“ wiedergeben kann, zeigen die Formen „religiös und „generös“, denen gegenüber uns die älteren Schreibweiſen „religieuſe“ und „genereuſe“ doch veraltet vorkommen. Das iſt alles nur Sache der Gewohnheit. Und wie wir heute anſtandslos von Duſche, Kurier und Luiſe leſen, ſo könnten wir uns an Tambur, Ragu und Bergtur gewöhnen. Vor ſechzig Jahren ſchrieben unſere Zeitungen noch von Strikes – jetzt leſen wir nur noch von Streiks, wenn nicht gar von Streiken, warum alſo nicht „Kautſch“ ſtatt couch? Noch vor fünfzig Jahren haben ſich die Gelehrten und die meiſten höher Geſchulten geſträubt gegen den Erſatz des Buchſtabens C durch K oder Z je nach Ausſprache (in „Konzert“ und „Zirkus“) – heute nimmt doch kein vernünftiger Menſch mehr Anſtoß daran, obſchon es immer noch Leute gibt, die das C vorziehen, ſo beſonders die – „Conditoren“. Man ſchrieb „Officiers und Unterofficiers“, heute kommt uns das altmodiſch vor; wir ſchreiben nicht bloß ein z, wir deklinieren da ſogar deutſch. Es iſt ganz bezeichnend, daß einer der erſten Schriftſteller, die das C aufgaben, der demokratiſch geſinnte Gottfried Keller war, im Gegenſatz zu dem mehr ariſtokratiſch gebildeten Konrad Ferdinand Meyer. Fremdwörter, die wir im Deutſchen nicht entbehren können, ſollten wir auch nach deutſchen Regeln ſchreiben. Der Schweizer, der auch in dieſen Dingen folgerichtig demokratiſch denkt, kann grundſätzlich die Schreibung „Schofför“ nicht bekämpfen, ſondern ſie nur vermeiden, um ſich nicht bei den Philiſtern unnötig lächerlich zu machen, aber „Ggoafför“ wäre auch gar nicht zu empfehlen; doch da kann man ja „Haarſchneider“ ſagen; „Scherer“ nannten ihn „unſere würdigen Altvordern“.

Berechtigt erſcheint auf den erſten Blick wohl auch der Wegfall der Kuppelung von Haupt- und Tätigkeitswort; man darf alſo wieder ſchreiben „Rad fahren“ für „radfahren“ und „Maſchine ſchreiben“ für „maſchine(n)ſchreiben“, wie es Duden heute vorſchreibt. Die amtlichen Regelbücher Deutſchlands empfehlen „in Zweifelsfällen Kuppelung und bei Trennung Kleinſchreibung“ (dankſagen, ich ſage dank), aber Duden ſelbſt erwähnt mit Recht, daß dieſer Rat dazu beitrage, die Erinnerung an die zugrunde liegende Vorſtellung abzuſchwächen, und wo die Vorſtellung des Dingworts noch lebendig iſt, ſollte man ſie durch getrennte und Großſchreibung zu erhalten und die Verblaſſung der Sprachbilder zu verhindern ſuchen. Bei Rad, Maſchine, Holz (in holzhacken) iſt dieſe Vorſtellung noch durchaus lebendig, die Kuppelung alſo nicht am Platz, aber auch bei „Hand“, „Rat“, „Not“ uſw. können wir uns noch etwas denken, und doch werden wir nicht mehr ſchreiben „Hand haben“, ſondern „handhaben“, nicht mehr „Rat ſchlagen“, ſondern „ratſchlagen“. Es dürfte ſchwer ſein, die Grenze zu ziehen zwiſchen getrennter und gekuppelter Schreibung, und da wäre die Regel mit der Kuppelung die einfachere Löſung, aber ſo wenig befriedigend wie ihr regelmäßiger Wegfall.

Nach der verkehrten Seite ſcheint die leidige Frage der „drei gleichen Mitlaute“ entſchieden werden zu ſein. Gegenwärtig gibt es darüber fünf Regeln, nämlich eine Hauptregel, davon zwei regelmäßige Ausnahmen und von der zweiten dieſer Ausnahmen wieder eine Gruppe von Ausnahmen und ſchließich noch eine Vorſichtsregel als „Sicherheitsventil“. Nämlich

  1. Hauptregel: Von drei gleichen zuſammentreffenden Mitlauten fällt der dritte aus, alſo: Schiffahrt, Schnelläufer.
  2. Erſte Ausnahme: Wenn auf den dritten Mitlaut ein vierter folgt, ſo wird der dritte geſchrieben, alſo: ſtickſtofffrei, Sauerſtoffflaſche.
  3. Zweite Ausnahme: Bei Silbentrennung wird der dritte Mitlaut wieder geſchrieben: Schiff-fahrt, Schnell-läufer.
  4. Ausnahme von dieſer regelmäßigen Ausnahme: In den Wörtern dennoch, Mittag und Dritteil werden auch bei Trennung nur zwei Mitlaute geſchrieben, alſo: den-noch, Mit-tag, Drit-teil.
  5. Vorſichtsregel: Wo ein Mißverſtändnis möglich iſt, muß Kuppelung eintreten, alſo Bet-Tuch der Juden zum Unterſchied vom Bettuch (Bettlaken).

Das Einfachſte wäre es nun, wenn man die Hauptregel gar nicht aufſtellte, ſondern als ſelbſtverſtändich zugäbe, daß, wie ſchon jeder Erſtkläßler ausrechnen kann, 2 f + 1 f = 3 f ſind, alſo „Schifffahrt“. Dann brauchte man auch die zwei Ausnahmen nicht zu gewähren, ſondern nur die kleine Gruppe: den-noch, Mit-tag und Drit-teil zu erwähnen, und das „Sicherheitsventil“ wäre nicht nötig. Aber ſo weit wagte der Herr Miniſter nicht zu gehen; er hob nur die erſte Ausnahme auf, was zunächſt ganz vernünftig ſcheint, was aber, wenn im Setzerkaſten oder im Kopf des Schreibers der Buchſtabe ß fehlt, zu den peinlichen Wortbildern Schlussatz, Fussoldat, Reisschiene, Masstab, Fusspur uſw. führt und immer noch die Kenntnis der vier Regeln verlangt.

Eine wirkliche und wohltätige Vereinfachung iſt aber die folgerichtig durchgeführte Trennung nach Sprechſilben, auch bei ſt. Heute muß man trennen: Weſ-pe, aber We-ſte; künftig dürfte man alſo auch trennen: Weſ-te – ſchon wieder eine Ausnahmeregel weniger! Daß „ſt“ bisher nicht getrennt werden durfte, konnte man einigermaßen, aber doch kaum genügendermaßen begreifen, wenn es ſich um eine feſte Lautverbindung im Stamme eines Wortes handelte wie in den Grundformen haſten und raſten. Wenn aber das ſ zum Stamm und das t zur Endung gehört (ſie raſten vor Wut, wir reiſten), dann kommt einem das Verbot der Trennung (ſie ra-ſten, wir rei-ſten) ganz unſinnig vor; früher hat man in ſolchen Fällen ſogar verſchiedene ſ geſchrieben (wir reisten, ſie rasten).

Die Grundſätze der eingeführten Neuerungen ſind alſo zum Teil ganz vernünftig, aber Grundſätze ſollten gelten, und wenn daneben die alten Grundſätze „in Geltung bleiben“ können, werden die neuen kaum zur Geltung kommen. Es eilt ja auch nicht, und die Sache muß von Fachleuten der Wiſſenſchaft, der Schule und der Buchdruckerei wohl überlegt und nie nach dem „Führerprinzip“ übers Knie gebrochen und von einem „Parteigenoſſen“ verpfuſcht werden. Unſer Bundesrat hat 1902 die Dudenſche Rechtſchreibung anerkannt und wird vorläufig wohl dabei bleiben.

* Franz Weſſely (Wien) im „Schweizer Graphiſchen Zentralanzeiger“ 1944, Nr. 10, 15. Oktober 1944


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